Wandeln auf der Zwischenetage. Hier ist nichts los. Über mir das Trampeln von Füßen, Geräusche einer Kaffeemaschine, Wasser rauscht durch die Klospülung, Irgendjemand schreit herum. Unter mir die Geräusche der Unterwelt, das Fiepen der Ratten, Abwässer, die den Dreck der Welt weitertransportieren, ohne den Dreck der Welt wirklich mitzunehmen.

Dazwischen Stille. Stille, die sich, wie zwei schließende Stahltüren, von allen Seiten nähert. Ich stehe da, hebe nicht einmal mehr die Hand, um zu verhindern, zerquetscht zu werden. Unaufhaltsam kommt sie näher. Nicht mal bedrohlich. Sie schickt Wolken voraus, die den Blick verschleiern. Sie machen mir keine Angst, im Gegenteil, sie umhüllen mich, meine verletzte Seele. Die vielen Narben und frischen Wunden leuchten auf ihr. Waffen, die sie schützen sollten, versagen ihren Dienst. Mit hängenden Köpfen, wohl um ihr Versagen wissend, schweben sie durch den Raum, als wollten sie sich verstecken. Und meine Seele wird umhüllt von den Wolken, die sie wegtragen.

Mein Herz, das Herz, das wild schlug vor Leidenschaft, vor Liebe, vor Wut, vor Hass, vor Angst, vor Panik, vor Glück, es wird langsam dunkel, die Schlagkraft nimmt ab. Ich spüre es ganz deutlich, es tut weh, denn es verwandelt sich in einen harten Stein, der kaum Kraft hat, sich zu bewegen. Das Atmen fällt schwerer, die einst leuchtenden Augen, in denen sich Leidenschaft, Liebe, Wut, Hass, Angst, Panik und Glück spiegelten, verlieren ihren Glanz. Und so erstarre ich, unfähig mich zu bewegen. Meine Beine stehen bleischwer auf dem Boden der Zwischenetage, die immer kleiner wird durch die Stille, die von allen Seiten näher kommt. Ich verstumme, ich erblinde, ich werde taub, mein Atem versagt, mein Herz hört auf zu schlagen. Noch während ich auf den Boden sinke, schließe ich meine Augen. Ich versuche nicht mehr mich zu schützen und schlage hart auf. Ich atme noch einmal tief durch die Nase ein, nehme den Geruch meiner Seele wahr. Gnädig werde ich erlöst. Ich bin nicht tot, denn eine Hülle stirbt nicht. Das wahre Leben tragen die Wolken mit sich fort. Sie lassen sie frei. Meine Seele. Die Zwischenetage verschwindet.

Tränen rinnen über mein Gesicht. Mein Körper wird gequält von einem Schmerz, der die Größe eines unendlichen Raumes hat. Um mich herum ein Funkeln von Sternen, jedoch auch eine große Finsternis. Keine Geräusche, die ablenken könnten. Ich fühle nichts als Schwerelosigkeit. Lasse mich treiben, lasse mich tragen, hintragen, wegtragen, ich taumle, schließe die Augen. Die Sterne laden mich zum Verweilen ein. Sie rufen, leuchten in den hellsten Farben, wollen mich locken. Doch ich falle nicht mehr darauf rein. Nur aus der Ferne betrachtet sind sie schön und so Viele. Riesige Planeten ziehen ihre Bahn. Auch sie locken, nur viel größer, viel interessanter, viel schöner. Sie verschweigen ihre tödliche Hülle und ihre lebensfeindliche Umgebung geschickt.

Doch sie laden auch zum Träumen ein. Ich drehe mich um und mir stockt der Atem, der Tränenfluss nimmt zu. Gebannt starre ich auf den blauen Planeten. Umhüllt von einer Atmosphäre von der Liebe, all derer, die geliebt und gelitten haben und daran starben. All die damit verbundenen Emotionen, wie Leidenschaft, Hass, Angst, Trauer, Hoffnungslosigkeit und unendlich glückliche Stunden, scheinen sich zu einer Einheit zu verbinden. Aus dem Wolkenband sehe ich die Silhouetten einsamer Seelen, die verzweifelt den Menschen suchen, den sie am meisten geliebt haben. Männeraugen, die suchend umher blicken, Frauenaugen, angefüllt mit Tränen und Angst. In einem Bruchteil von Sekunden sind sie in der Lage zu erkennen, ob ihr Liebster oder ihre Liebste dabei ist. Sie bewegen sich schnell und immer schneller.

„Ob alt oder jung, sie verbindet die größten und stärksten Gefühle, die ein Mensch haben kann.“

Zu keinem Zeitpunkt ist man offener und somit auch leichter zu verletzen. Sie haben sich einem Menschen gegenüber geöffnet, ihm Liebe und Zuneigung offenbart, sich ihnen hingegeben, so, wie Gott sie schuf. Gibt es etwas Innigeres, als sich miteinander zu vereinen, wenn wahre Gefühle im Spiel sind? Wo man sich in die Augen sieht, während sich ihre Körper schwitzend aneinander reiben. Den anderen nicht mehr loslassen wollen, weil die Liebe, die man für ihn empfindet, so groß ist, dass es schon fast schmerzt. Doch das Leben kann grausam sein, nimmt es einem manchmal genau das. Oft genug einseitig. Zurück bleibt der, der leidet. Das ist der wahre Zuchtmeister des Lebens. Manch einer zerbricht daran. Die, die nicht daran zerbrechen, werden stärker, aber auch härter. Nie wieder werden sie die Gefühle erleben, die sie beim ersten Mal mit einem Menschen hatten, den sie aufrichtig und tief liebten. Denn, wer öffnet sich noch einmal so weit, dass er jederzeit getötet werden kann? Mein Mund öffnet sich und ich schreie, schreie so laut ich kann, jede Pore meines Körpers ist geöffnet und nimmt die Aura der Liebe, des Schmerzes, des Verlustes auf. Tief in mir der Wunsch, nur noch ein einziges Mal, den tiefsten Moment meiner Liebe zu spüren.

„Ich kramte tief in meinen Erinnerungen, wohl wissend, dass der Gedanke daran bereits der Griff zur Waffe ist.“

Deutlich sehe ich sein Gesicht vor mir, spüre seine Küsse, seine Hände auf meinem Körper, seine Lust und Leidenschaft, sehe, wie wir uns aneinander klammern. So, als wüssten wir um den kostbaren Moment. Und ich wünschte mir, wir wären in diesem Augenblick gemeinsam von einem Speer durchbohrt worden. Ich schließe die Augen und ich sehe es deutlich vor mir. Und, tatsächlich gab es einen Speer in meinem Leben, aber der traf allein mich. Das Loch, das er hinterließ scheint geschlossen, doch die Hülle darüber ist nur hauchdünn und ich kann mein fast freiliegendes Herz dahinter pochen sehen. Ich hätte eine Rüstung darüber streifen sollen.

Indem ich es nicht tat, war ich eine Einladung, dieses Loch wieder freizulegen. Dafür brauchte es keinen Speer, kleine Nadelstiche reichten. Wie gern hätte ich seine Hand genommen und sie auf dieses Loch gelegt, damit er spüren konnte, dass dahinter mein Herz immer noch für ihn schlägt. Doch er sah es nicht, wollte es vielleicht nicht sehen. Aber ich sah es. Sah das Loch in seinem Brustkorb, sah die kleine Hülle, die sein Herz schützen sollte. Sah es für einen Moment der Unverhülltheit, der Innigkeit, der Liebe.

Doch er legte seine Rüstung wieder an, zog sie nicht mehr aus, sondern nahm einen Speer, um andere zu töten. Ein Leben in ständiger Bedrohung und Verteidigung. Die Rüstung veränderte seinen Blick, sein Gesicht, seinen Gang, sein Vertrauen zu mir. Und, während ich mit all meiner Liebe versuchte, meine Hand auf seine Wunde zu legen und fest zu schließen, bemerkte ich zu spät, dass die Wunden, die er mir zufügte, mich schwächten. So sehr, dass ich nicht mehr alle zudecken konnte. Trotzdem streckte ich meine Hand aus, nur um die Stellen seines Körpers zu streicheln, die ich erreichen konnte. Seine Haut war warm und vertraut. Ich atmete an seiner Seite immer tief ein, denn sein Geruch war meine Heimat, der Arm, der mich umfing, meine Festung, der Kuss, den er mir gab, mein Atem. Es sollte wohl so sein.

Text anonym 
Foto: Esther Hildebrandt/ Adobe Stock

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.