Trugbild

Ich wollte mit Dir reden, mich Dir geben, mit Dir nach Leben streben.
Ich wollte Dich erkennen, Dein Innerstes kennen, mich in Dir verrennen
und das ewige Glück beim Namen nennen.
Mit Dir gehen wollte ich, bis ans Ende der Welt, an Orte, an denen uns keiner kennt,
mit Dir lachen oder weinen, gemeinsam leiden,
mich mit Dir in übernatürlicher Ekstase vereinen.

Ich wollte bei Dir sein an grauen Tagen, wenn, dann nur mit Dir versagen,
so oft wollte ich es Dir sagen, dass ich fühle, als werde ich von Liebe getragen.
Ich wollte Dich anhören, mich mit Dir gegen die verlorene Menschlichkeit verschwören, versuchen, uns mit unerreichbaren Lieblichkeiten zu betören.
Ich wollte Dich haben nur für mich, Dir wieder bringen Dein Dir abhanden gekommenes Licht, denn Dein Herz trug ein zu schweres Gewicht.
Ich wollte Dir mein Leben zeigen, mit Dir in unrealistischen Träumen verweilen,
mit Dir über die steinigen Wege des Lebens gleiten.

Ich wollte mit Dir die Sterne zählen, mit Dir unbedacht riskante Abenteuer wählen,
bei Dir ein letztes Mal um Vergebung flehen.
Ich wollte mich mit Dir der Welt präsentieren, wenn’s sein sollte, das ohnehin schon verlorene Leben ein zweites Mal verlieren, mit Dir im kühlen Sarg erfrieren.
Ich wollte mich durch Dich neu finden, Dich an mich binden, mit den Vögeln die Schönheit der Welt besingen.
Ich wollte Dich hüten vor dieser Welt, einer Welt, die zulässt, dass Deine Seele achtlos brennt.
Dich schützen und mich von Dir schützen lassen, um nicht sehen zu müssen, wie unsere Träume wie Schall und Rauch verblassen.

Ich wollte mit Dir in zerreißende Streitereien fallen, Dir ins Gesicht schleudern meine Plagen, Dir vor Augen halten, Deine gehaltlose Würde, um sie von mir zu nehmen, diese unerträgliche Bürde.
Denn der Tag kam, an dem ich Dich mit Dir selbst konfrontierte, wir erkannten, dass unser Traum nie existierte. Träume, die wir uns einst setzten, die nun umherfliegen wie wertlose Fetzen.

Ich wollte Dich allein stehen sehen, denn auch Du und ich mussten einmal auseinandergehen. Dich nicht mehr kennen wollte ich, auf Ewig vergessen Dein Gesicht, ich wollte ihn nicht mehr vor Augen haben, den Menschen, der in mir aufkommen ließ diese unergründbaren Fragen. Die Fragen, die sich im Kreise drehen, wenn schwarze Raben im Einsamen krähen, Fragen, mit bodenloser Tiefe, die ich beantworten könnte, wenn ich nur mal nach Dir riefe. Doch diesen Ruf behalte ich für mich, denn einsame Wesen lassen einander stets im Stich. Am Ende bleibt doch jeder für sich, denn auch ich finde nicht mehr das mir abhanden gekommene Licht.

Text: Evin Ay

 

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