Die inneren Wogen glätten

„Den Puls des eigenen Herzens spüren. Ruhe im Innern, Ruhe im Äußern. Wieder Atem holen lernen.“ Das ist Achtsamkeit, auch wenn es der Dichter Christian Morgenstern vor gut hundert Jahren sicher nicht so genannt hätte. „Wer lernt, achtsamer durchs Leben zu gehen, beschenkt sich mit Ruhe, Stärke und Genuss“, sagt Yogalehrerin und Achtsamkeitstrainerin Barbara Münzer aus Berlin. Sie verrät uns drei super einfache Übungen: zum einfach mal Durchatmen und achtsamen Schreiben. Es darf leicht gehen!

Wir sind uns einig. Auch darüber, dass das Zitat von Christian Morgenstern in einer achtsamen Stimmung geschrieben sein dürfte. Die Harmonie von Wort und Inhalt lassen das vermuten, sagt auch Barbara. Die Zeilen sind sicherlich nicht in Hektik und Unruhe entstanden, nicht in Sorge oder Unzufriedenheit und sicher auch nicht ohne die nötige Konzentration. Sondern eher voller Wissen um das Schöne und Wahre im Leben und ganz aus einer heiteren und friedvollen Stimmung heraus.

Ein Weg in die Klarheit

Wir können nicht einfach einen Schalter umlegen und auf Achtsamkeit umschalten. Achtsamkeit ist der Weg, der in die Stille führt – und somit in die gewünschte Klarheit. So sagen es Achtsamkeitsübende aller Traditionen und auch die Wissenschaft, die dieses Phänomen mittlerweile genau untersucht hat. Präziser gesagt bringt uns Achtsamkeit in einen mentalen Zustand, in dem wir uns selbst und die Welt klar und voller Mitgefühl wahrnehmen. Wie von einem Berggipfel aus. Unten im Tal ist das bunte Treiben, das ganze Leben mit seinen verschlungenen und manchmal dornenreichen Wegen. Wir wissen, wir sind mittendrin und dennoch wie auf einer Aussichtsplattform mit heilsamer Distanz zum Geschehen. Mit Ruhe und Abstand – das ist bekannt – lassen sich die Dinge gelassener wahr- und annehmen, aber auch die nächsten Schritte besser planen und verwirklichen.

Achtsamkeit geht nicht per Knopfdruck

Natürlich gibt es Achtsamkeit nicht auf Knopfdruck, sondern nur durch Üben. Der Geist muss sozusagen in die Schule gehen, um zu lernen, Gedanken und Gefühle die richtige Bedeutung zu geben und Kraft zu entwickeln. Ob wir auf unserem Übungsweg Yoga, Meditation, Achtsamkeits- oder Genusstraining den Vorzug geben, ist eine ganz persönliche Entscheidung. Um das Richtige zu entdecken, braucht es manchmal ein wenig Geduld.

Die inneren Wogen glätten

Wenn sich schließlich die inneren Wogen ein wenig geglättet haben, zeigt sich eine weitere Wirkung der Achtsamkeit. Ganz intuitiv lässt sich dann erfahren, was kluge Menschen aller Religionen und Weisheitslehren seit über zwei Jahrtausenden beschreiben: Wer sich aus der Außenwelt zurückzieht und die Innenwelt ordnet, kommt an die Quelle des Lebens.

Was das bedeuten kann, zeigt ein Blick in die Klöster dieser Welt. Nonnen und Mönche üben ein Leben lang Achtsamkeit, natürlich mit einem höheren Ziel. Für uns Menschen von draußen kann manchmal schon ein nur kurzes Eintauchen in diese Welt erfahrbar machen, welche vertrauensvolle Gelassenheit, Dankbarkeit und Freude – bei aller Nähe zum Kummer dieser Welt – in diesem Leben möglich sind.

Wer es selbst testen möchte, beginnt vielleicht jetzt mit diesen einfachen Übungen. 

1. Lerne deinen Atemrhythmus kennen

Leg dich auf den Boden, gern auf eine weiche Decke. Dehne, räkele und streck dich für einen Moment. Vielleicht lässt sich so ein entspannendes Gähnen anlocken. Dann lege eine Hand auf den Bauch und die andere auf die Brust. Schließ die Augen und erspüre mit beiden Händen deine Atembewegung.

Wenn deine Aufmerksamkeit abschweift, Gedanken kreuz und quer schießen, Langeweile oder Unruhe aufkommt, beginne immer wieder neu, indem du zu deinem Atem zurückkehrst. Wichtig: Stelle sicher, dass dich während der Übung niemand stört. Und lege die Dauer fest, vielleicht beginnst du ganz einfach mit fünf Minuten und steigerst dich dann in deinem Tempo.

2. Nimm (dich) wahr – mit allen Sinnen

Das geht wunderbar in der Natur. Vielleicht nutzt du jetzt die herbstliche Jahreszeit und schulst deine Wahrnehmung: Schließe die Augen, höre, spüre, rieche. Wie duftet deine Welt? Vielleicht hörst du das Zwitschern der Vögel, das fernes Bellen eines Hundes. Oder du spürst den kühlen Wind auf der Haut. Erlebe deine Welt mit allen Sinnen – und wenn du magst, schreibe es auf: Wie fühlt sich die raue Rinde eines Baumes an oder ein welkes Blatt zwischen den Fingern. Selbst, wenn du einfach nur dasitzt und lauschst, ordnet sich deine Wahrnehmung mit der Zeit – und es wird still.

3. Schreib ein Dankbarkeits-Tagebuch

Wer sich selbst glücklich machen möchte, sollte nicht das Ungewisse fürchten, sondern sich an das Gute erinnern. Und das gibt es an jedem Tag. Nimm dir dafür einen kurzen Moment Zeit – vielleicht am Abend – und lass den Tag Revue passieren, mit dem Scheinwerfer auf die guten Momente und schreibe es auf:

Was hat mich berührt, war schön, heiter, wohltuend oder hat einfach nur gut geschmeckt?

Wenn du solche Erfahrungen täglich achtsam erspürst und kurz zu Papier bringst, wird sich dein Glückskonto füllen.  Es geht dabei um die kleinen Dinge: eine frische Orange, die du genießt, ein freundliches Lächeln auf der Straße, der schöne Himmel auf dem Weg zur Arbeit, ein angenehmes Gespräch oder warmes Wasser auf der Haut beim Duschen. Was immer dich gerade dankbar macht.

Text: Barbara Münzer
Foto: Eva Hoffmann 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.